Wie schaffen wir die Losgröße 1 wirtschaftlich?
Am Beispiel der Pharma-Industrie
In der Zukunft werden wir seltene und oft unheilbare Krankheiten besser bekämpfen. Krankenhäuser vor Ort werden in der Lage sein, für jeden Patienten das passende Medikament herzustellen. Auf jede Diagnose folgt eine personalisierte Herstellung eines Produkts. Weil es speziell für den Patienten entwickelt wird, nimmt seine Wirksamkeit zu. Zukunftsmusik oder wird das beschriebene Szenario tatsächlich bald Realität?
Exkurs: Der Begriff Losgröße beschreibt die Menge gleicher Produkte, die ohne Umrüstung auf einer Maschine produziert werden kann. Die Losgröße 1 meint ein einzelnes Produkt. Es geht darum, dass kundenspezifische Sonderanfertigungen oder sehr geringe Stückzahlen im besten Fall zum selben Preis wie bei der Massenproduktion möglich sind.
In der Lebensmittelbranche geht es zum Beispiel um saisonale Produkte, in der Pharmabranche um patienteneigene Medikamente. In fast allen Branchen rückt zunehmend die Personalisierung der Produkte in den Fokus. Hohe Stückzahlen in kurzer Zeit – das war in der Vergangenheit immer das Ziel. Maschinen waren also darauf ausgelegt, möglichst schnell eine große Masse zu produzieren und einer großen Kundschaft zur Verfügung zu stellen. Heute sind individuelle Produkte gefragt. Wir wollen kleine Stückmengen, die jedes einzelne Bedürfnis beantworten und mehr Exklusivität anbieten.
Dass Sonderanfertigung bei höchster Qualität trotzdem schnellstmöglich beim Verbraucher ankommen – dieser Wunsch ist geblieben. Vielmehr ist es eine Anforderung, die im Lastenheft des Maschinenbauers einen festen Platz hat. Kunden, wie die Pharmaindustrie, müssen in der Lage sein, schnell zu reagieren. Krankenhäuser, Labore oder Pharmazeuten können mit individuellen Zusammensetzungen bei seltenen Krankheiten besser helfen. So geht es hier um schnelles Bereitstellen von personalisierten Medikamenten, aber auch um eine unkomplizierte Herstellung vor Ort. Das könnte Logistikfragen hinfällig machen und das Problem der oft kurzen Haltbarkeit solcher Medikamente lösen.
Ganz praktisch
Ziel eines Projekts von der Optima Pharma, dem Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart und dem Universitätsklinikum Heidelberg ist die dezentrale automatisierte Herstellung von Zelltherapeutika in den Behandlungszentren. Patienteneigene Zellen werden gentechnisch so bearbeitet, dass sie Tumorzellen angreifen können. Hohe Logistikkosten sowie die Herstellung in Reinräumen der Klasse A/B verursachen momentan in der manuellen Herstellung einen hohen Zeit- und Kostenaufwand.
Dafür hat der unter anderem auf Pharma spezialisierte Verpackungsspezialist eine automatisierte Produktionseinheit für CAR-T-Zelltherapeutika entwickelt. Der modulare Aufbau der Produktionsplattform ermöglicht die flexible Zusammenstellung aller relevanten Prozessschritte sowie die optionale Integration externer Geräte . Bediener und Produkt bleiben durch die bewährte Isolator-Technologie stets voneinander getrennt. Ziel ist es, mit dieser Produktionsplattform die Herstellungskosten personalisierter Zelltherapeutika um bis zu 50% zu reduzieren.
Kleine Losgröße mit flexiblen Maschinen
Maschinenhersteller sind aufgefordert, Maschinen zu entwickeln und aufzurüsten, die unterschiedliche Produkte innerhalb kürzester Zeit bearbeiten können. Es braucht schnelle Formatumstellungen, die das Bearbeiten großer und kleiner Gebinde sowie sensibler Güter ermöglichen. In den Hallen müssen Maschinen stehen, die Flexibilitäts-, Qualitäts- und Zeitanforderungen erfüllen. Und das geht. Eine Spezialität des deutschen Sondermaschinenbaus. Es werden Maschinen entwickelt, die passgenau auf den Kunden und seine Anforderungen zugeschnitten sind. Sie sind flexibel, häufig voll automatisiert und machen die Produktion kleiner Stückmengen möglich. Hinzu kommt die enge Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Kunde, um geeignete Antworten schnell auf die Fragen des Marktes zu entwickeln. Das klingt komplex, aufwändig und teuer. Keine Frage, das ist es auch.
Ganz praktisch
Die Harro Höfliger Verpackungsmaschinen GmbH setzt bei neuen Technologien auch auf die Zusammenarbeit mit Start-ups. Ein Beispiel: 3D-Druck-Technologie. Sie ist zwar nicht neu, eröffnet aber auch in der Pharmabranche viele Möglichkeiten.. Mithilfe eines pharmatauglichen 3D-Druckers können Tabletten patientenindividuell aufgebaut werden. Die digitale Rezeptur kann von der Ärztin, dem Apotheker oder in Krankenhäusern und Altenheimen ganz einfach selbst hergestellt werden.
Wirtschaftlichkeit = digital, vernetzt und automatisiert
Durch die Integration heutiger Technologien, wie Robotik, Sensorik und Softwareintelligenz, ist die Wirtschaftlichkeit aber durchaus erreichbar. Ziel ist es, nahezu alle Prozessschritte zu automatisieren und Komponenten digital zu vernetzen. Stillstände und Risiken für Produkt, Bediener und Konsument werden durch die Reduktion der manuellen Eingriffe erheblich reduziert. Ein guter Grund, warum im Packaging Valley heute viele Automatisierungs- und Softwareexperten Mitglied sind. Der Automatisierungsgrad der Maschinen und der Innovationsfortschritt ist nur durch eine enge Zusammenarbeit zu erreichen.
Nur mit modernster, auf IT-Technologien basierender Automatisierungstechnik und höchst leistungsfähiger Antriebstechnik, lassen sich die Anforderung an Flexibilität und Genauigkeit erfüllen. Steuerungen müssen in der Lage sein, auch komplexe Datenverarbeitung vorzunehmen und eine nahtlose Integration in Prozessleit- und Fertigungssysteme zu ermöglichen.
Dazu kommen digitale Tools. Sie minimieren Aufwände und damit Kosten bei der Entwicklung, Zusammenarbeit oder Schulung und Wartung. Zum Beispiel erleichtern Virtuelle Realitäten die gemeinsame Bearbeitung, auch schon in sehr frühen Stadien der Entwicklung. Über 3D-Anwendungen und virtuelle Brillen lässt sich die Maschine schon vor dem Bau projizieren und mittels Digitalem Zwilling in Betrieb nehmen.
Reingehört
Welche Vorteile virtuelle Technologien bringen, hören Sie im Podcast (Folge 15) „Virtual Reality Hype – wo bleibt der Nutzen?“ mit Prof. Dr. Runde vom VDC Fellbach.
Reingehört
Was die Automatisierung in den nächsten Jahren noch alles leisten kann, hören Sie im Podcast (Folge 12) „Ist die Zukunft der Automatisierung Open-Source?“ mit Mathis Bayerdörfer vom SPS-Magazin.
Kurz zusammengefasst:
In den verschiedensten Anwendungsbereichen ist eine personalisierte Fertigung und Verpackung gefragt. Die Herstellung patientenspezifischer Medizin ist sicher eine der anspruchsvollsten Aufgabe. Durchaus aber realisierbar.
Ausgestattet mit aktuellen Technologien sind wir heute schon in der Lage, effiziente Prozesse abzubilden. Mithilfe vollautomatisierter Maschinen und digital vernetzten Komponenten lassen sich kleinste Losgrößen und individualisierte Produkte umsetzen. Um Wirtschaftlichkeit bei kleinen Losgrößen zu erreichen, ist die IT und die digitiale Vernetzung ein zentraler Bestandteil.
Ganz sicher: Die Mitgliedsunternehmen des Verpackungsnetzwerks Packaging Valley sind bei der Entwicklung von Lösungen für die Losgröße 1 ganz vorne mit dabei. Damit beweisen sie erneut, dass der deutsche Verpackungsmaschinenbau weltweit eine bedeutende Rolle spielt.